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«Ohne Arbeitsplätze ist es eine Schlafstadt»

Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik ist angespannt. Die Stadt weist bei Zukunftsaufgaben der Industrie und dem Gewerbe die Rolle als «Zaungast» zu. Das stört das Klima und mindert die Chancen auf Erfolg.

Die Lage ist ernst: «In Gesellschaft und Politik nimmt das Verständnis für Industrie und Gewerbe immer mehr ab. Dagegen müssen wir uns wehren», sagt Pablo Moirón. Er ist Präsident des Industrie- und Handelsvereins der Region Frauenfeld (IHF) und sieht konkreten Handlungsbedarf. «Etwa in der wichtigen Frage der Stadtentwicklung. Da wird die Wirtschaft immer öfter übergangen».

Stadtentwicklung im Format eines Verschönerungsvereins?

Darüber wundert sich auch Marco Salvi: «Die Frauenfelder Stadtentwicklung betrifft offenbar in erster Linie den Verkehr, die Verschönerung von Plätzen und Räumen und den Wohnungsbau – nicht aber die Wirtschaft», stellte der Ökonom der Denkfabrik «avenirsuisse» an der Jahresversammlung des IHF im Casino fest und doppelte dieser Tage in einem «NZZ»-Interview nach: «Ich finde es amüsant, wenn Frauenfeld über ‹Road-Pricing› nachdenkt. Dafür haben sie schlicht zuwenig Stau». Marco Salvi hegt die Vermutung, dass sich Frauenfeld, «in erster Linie aus Wohnungen, Kultur und Freizeit versteht – und erst in dritter Priorität aus Arbeitsplätzen » und stellt klar: «Eine Stadt ohne Arbeitsplätze ist eine Schlafstadt. Und im Fall von Frauenfeld erst noch eine an der Peripherie der Wirtschaftszentren Winterthur und Zürich».

Wolkige Visionen und sonderbare Diskussionen

Den Befund des Experten teilt auch der IHF und befürchtet, dass Industrie und Gewerbe bestenfalls zu «Zaungästen der künftigen Stadtgeschichte» verkommen könnten. Derweil strebe die Wirtschaft eine Partnerschaft auf Augenhöhe an und wolle dabei eine konstruktive Rolle spielen. Das werde von der Politik leider zu oft übersehen. Sie setze lieber auf Studien und Szenarien von aussen oder fragwürdige «Mitwirkungsverfahren». Sein Sündenregister rundet der IHF-Präsident ab mit dem Hinweis auf «sonderbare Diskussionen» über die künftige Nutzung der Stadtkaserne oder bislang an der Wirtschaft vorbei entwickelte Vorstellungen für den Übergang des Industrieareals «Murgbogen» in einen eigenen neuen Stadtteil. «Insgesamt vermissen wir ein klares Bekenntnis zu Industrie, Gewerbe und Arbeitsplätzen», sagt Moirón. Immerhin handle es sich bei Frauenfeld um die Wirtschaftsmetropole des Thurgaus. Allein der IHF vertritt die Interessen von 58 grösseren Firmen. Sie beschäftigen 6560 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also vier von fünf Angestellten der Frauenfelder Privatwirtschaft. Zu diesen gesellen sich allerdings fast gleich viele Stellen bei der öffentlichen Hand. Die Kantonshauptstadt bildet damit gleichzeitig das wichtigste Verwaltungszentrum im Thurgau.

Marktwirtschaft gegen «staatliche Schaltzentralen»

Experte Marco Salvi ist über das wachsende Auseinanderdriften von Staat und Wirtschaft besorgt: «Die zukunftsträchtigsten Branchen sind der Bildungsbereich und das Gesundheitswesen», erklärt er. Beides sei in den Städten zuhause und befinde sich mehrheitlich in staatlicher Hand. «Staatliche Kommandozentralen» hätten eine eigene Sicht auf den Fortschritt. Gegen diese habe die auf Digitalisierung und technologischen Fortschritt bedachte und auf Wertschöpfung statt Steuereinnahmen fokussierte Wirtschaft zuweilen schlechte Karten, schloss Marco Salvi seinen Vortrag. Ja, die Lage sei ernst. Darum wollen Pablo Moirón und der IHF der Politik in Zukunft genauer auf die Finger schauen und mitdiskutieren. «Kritisch – aber auch konstruktiv», so Moirón.

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